Impulspapier

Berlin, den 1. Dezember 2014

Ausbildungsland Deutschland:
Impulspapier von Migrantenorganisationen zum Integrationsgipfel 2014

 

1. Attraktivität der dualen Ausbildung stärken

2. Diskriminierungen in Ausbildung und Beruf entgegentreten – Chancengleichheit fördern

3. Diversität wertschätzen

4. Kammern, Arbeitsagenturen, Verbände und Gewerkschaften in der Verantwortung

5. Migrantenorganisationen als Partner von Bund, Ländern und Kommunen

 

Junge Menschen mit Migrationshintergrund holen bei den schulischen Abschlüssen auf, haben allerdings nach wie vor schlechtere Chancen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz. Nur halb so viele Jugendliche mit ausländischer Staatsangehörigkeit beginnen im Vergleich zu Jugendlichen mit deutscher Staatsangehörigkeit eine Ausbildung. Bedauerlich ist, dass die Potenziale von jungen Menschen mit Migrationshintergrund nur sehr zögerlich wahrgenommen werden. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Unzureichende Sensibilität von Unternehmen in Bezug auf die Kompetenzen von Ausbildungssuchenden mit Migrationshintergrund spielen ebenso eine Rolle wie strukturelle Diskriminierungen oder die noch niedrigeren allgemeinen Schulabschlüsse von Ausbildungssuchenden mit Migrationshintergrund.

Die Verbesserung der Bildungs- und Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund ist eine der großen Herausforderungen unserer Zeit und volkswirtschaftlich, gesellschafts- und integrationspolitisch von großer Bedeutung!

Daher rufen wir als Vertreterinnen und Vertreter von Migrantenorganisationen die Entscheidungsträgerinnen und Entscheidungsträger auf allen Ebenen der Politik, Verwaltung und Wirtschaft zu mehr Sensibilität und Mut im Umgang mit diesen jungen Menschen auf. Ziel ist es, mit bewährten sowie neuen Instrumenten und Maßnahmen dazu beizutragen, dass mehr Jugendliche mit Migrationshintergrund in Ausbildung kommen, die interkulturellen Kompetenzen bei Unternehmen und Behörden durchgängig verbessert und Diskriminierungen bekämpft werden.

Anlässlich des Integrationsgipfels legen wir folgende Empfehlungen vor:

 

1. Attraktivität der dualen Ausbildung stärken

Über Möglichkeiten der dualen Ausbildung besser informieren

Eltern spielen eine erhebliche Rolle für den gesamten Ausbildungsprozess ihrer Kinder. Oft haben Eltern und Jugendliche mit Migrationshintergrund durch ihre soziale Lage, ihr Umfeld und ihre Sozialisation immer noch kein ausreichendes Wissen und weniger Erfahrungen über den Wert einer dualen Berufsausbildung und die damit eröffneten Chancen. Für viele erscheint nur ein Studium als geeigneter Weg zum Aufstieg. Die Aufstiegschancen durch eine duale Ausbildung müssen über positive Beispiele deutlicher kommuniziert und die Berufsorientierung in der Breite wie Tiefe verbessert werden. Dies gilt insbesondere für junge Frauen. Migrantenorganisationen sind wichtige Partner, um Eltern und Jugendliche zu informieren und zu motivieren, da sie aufgrund der vielseitigen Mitgliederstruktur unterschiedliche Generationen und Familien besser erreichen. Entsprechend sollten sie stärker in bildungsunterstützende und berufsorientierende Maßnahmen eingebunden und in ihrer eigenen Professionalisierung besser unterstützt werden.

Übergang Schule – Beruf verbessern
Im Übergangsprozess von der Schule in die Ausbildung ist die Begleitung durch professionelle Institutionen und Mentorinnen und Mentoren mit Vorbildfunktion erforderlich, die Jugendliche durch die gesamte Orientierungs- und Qualifizierungsphase führen und Verbindungen zwischen der Schule und den Unternehmen knüpfen. Diese regionalen „Übergangshelfer“ könnten verstärkt in den Migrantenorganisationen verankert werden, da sie oft über bessere Zugänge zu ansonsten schwierig zu erreichenden Zielgruppen (z.B. Neuzuwanderer, Flüchtlinge) verfügen. Beim Übergang Schule – Beruf ist festzuhalten, dass junge Frauen mit Migrationshintergrund oft zurückstecken müssen: Trotz besserer Schulabschlüsse gegenüber männlichen Jugendlichen mit Migrationshintergrund gelingt ihnen der Übergang in eine ihren Abschlüssen entsprechende berufliche Ausbildung schlechter. Dies muss anders werden!

Assistierte Ausbildung als Unterstützung für Jugendliche und Betriebe
Vor allem kleine und mittlere Unternehmen (KMU) benötigen Unterstützung bei der Bewerberauswahl und der dualen Ausbildung von weniger gut qualifizierten Jugendlichen. Diese Jugendlichen benötigen sowohl mehr Ausbildungsangebote als auch eine unabhängige persönliche soziale und fachliche Betreuung bzw. Begleitung, um die Ausbildung sowie Alltags- und Lernprobleme besser bewältigen zu können. Dabei ist es wichtig, vorhandene Angebote besser miteinander zu verzahnen. Die assistierte Ausbildung als Bestandteil der Berufseinstiegsbegleitung kann hier Brücken zwischen Betrieben und Auszubildenden bauen und dadurch für beide Seiten Unterstützung bieten. Neben der assistierten Ausbildung sollten bewährte Instrumente wie z.B. die frühe Berufsorientierung und ausbildungsbegleitende Hilfen beibehalten und ggf. optimiert werden.

Erhöhung der Ausbildungsbeteiligungsquote
Auch die Ausbildungsbeteiligungsquote und das Ausbildungsengagement von Unternehmer/-innen mit Migrationserfahrung sollten ausgeweitet werden. Dabei ist es insbesondere wichtig, die Attraktivität der Ausbildungsbetriebe durch gute Ausbildungsstandards zu steigern. Deswegen fordern wir mehr qualifizierte Unterstützung für Unternehmer/-innen mit Migrationserfahrung bei der Ausbildung von jungen Menschen.

 

2. Diskriminierungen in Ausbildung und Beruf entgegentreten – Chancengleichheit fördern

Es ist offensichtlich, dass in der Arbeitswelt - bewusst oder unbewusst - teilweise Vorbehalte und Vorurteile gegenüber Menschen mit Migrationshintergrund existieren. Viele können von solchen Erfahrungen berichten, insbesondere Frauen mit Migrationshintergrund weisen auf Mehrfachdiskriminierungen auch aufgrund ihres Geschlechts hin. Deshalb muss entschiedener gegen Diskriminierungen vorgegangen werden. Deutlicher hervorgehoben werden muss, welche wirtschaftliche, gesellschaftliche, sportliche und kulturelle Bereicherung Menschen mit Migrationshintergrund sowie ihre Kinder für Deutschland darstellen und dass sie Teil unseres Landes sind. Mehr Menschen mit Migrationshintergrund in Leitungs- und Mitbestimmungsverantwortung sowie interkulturell sensiblere Auswahlverfahren für Auszubildende und die Sensibilisierung von Personalentscheidern können ein guter Anfang sein, diese Vorbehalte abzubauen und ein Arbeitsumfeld zu schaffen, das frei von Vorurteilen ist. Insbesondere ist es notwendig, die herkömmlichen Bewerbungsauswahlverfahren zu überprüfen und zu verändern. Die Einführung anonymisierter Bewerbungsverfahren kann dazu ein erster wichtiger Schritt sein.

 

3. Diversität wertschätzen

Kleine und mittlere Unternehmen (KMU) und Öffentlichen Dienst interkulturell öffnen
Bei KMU und im Öffentlichen Dienst ist der Anteil der Auszubildenden mit Migrationshintergrund nach wie vor unterproportional im Vergleich zum Bevölkerungsanteil der Jugendlichen mit Migrationshintergrund. Wir fordern eine weitere interkulturelle Öffnung der öffentlichen Verwaltung bzw. Sensibilisierung von KMU durch Kampagnen und überzeugende Informationsarbeit. Dabei sollten Bund und Länder eine Vorbildfunktion ausüben und selbst mehr Menschen mit Migrationshintergrund im Öffentlichen Dienst ausbilden und einstellen. Die Einwanderungsgesellschaft muss sich in der Wirtschaft und im Öffentlichen Dienst widerspiegeln.

Mehrsprachigkeit und Interkulturalität anerkennen und nutzen
Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz sind in der internationalen Arbeitswelt unverzichtbar. Die gesellschaftliche Anerkennung sozialer Kompetenzen wie Mehrsprachigkeit und Interkulturalität können die jungen Menschen in ihrer Entwicklung (Identität, Persönlichkeit, selbst bestimmte Lebens- und Berufszielwahl) positiv unterstützen. Die Nutzung und Förderung dieser Kompetenzen sind in einer globalisierten und zunehmend vernetzten Welt und für ein exportorientiertes Land wie Deutschland von großer Bedeutung. Es gilt, diese Ressourcen anzuerkennen, zu fördern und besser zu nutzen. Mehrsprachigkeit und interkulturelle Kompetenz sollten bei der Beurteilung der Eignung, Befähigung und fachlichen Leistung im Rahmen von Personalentscheidungen stärker berücksichtigt werden.

 

4. Kammern, Arbeitsagenturen, Verbände und Gewerkschaften in der Verantwortung

Kammern (IHK, HWK, etc.), Arbeitsagenturen, Verbände und Gewerkschaften sollen übergreifende Maßnahmen für eine wirksame Verbesserung der Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund starten. Diese könnten über Good-Practice-Beispiele auf mehr Betriebe „einwirken“, mehr Auszubildende mit Migrationshintergrund einzustellen und sie dabei unterstützen. Wir weisen daher auf die Notwendigkeit hin, die Ausbildungsbereitschaft auch von migrantengeführten KMU durch Unterstützung bei der Erlangung der Ausbildungseignung zu verstärken und fordern eine weitere interkulturelle Sensibilisierung aller relevanten Organisationen und Institutionen.

 

5. Migrantenorganisationen als Partner von Bund, Ländern und Kommunen

Wir als Migrantenorganisationen (ca. 20.000 in Deutschland) verfügen u.a. über gute Erfahrungen in der Bildungs- und Elternarbeit. Wir wollen und werden weiterhin dazu beitragen, die Bildungs- und Ausbildungssituation insbesondere von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu verbessern. Wir fordern deshalb die Umsetzung eines der demografischen Entwicklung entsprechenden Mainstreaming-Ansatzes (ähnlich Gender Mainstreaming) zur Verbesserung der Chancengleichheit von Jugendlichen mit und ohne Migrationshintergrund. Wir regen an, die Effizienz und Wirksamkeit von bildungs- und arbeitsmarktpolitischen Instrumenten in Bezug auf die Verbesserung der Ausbildungssituation von Jugendlichen mit Migrationshintergrund zu überprüfen und zu erhöhen. Wir wollen unsere Beiträge an den Ergebnissen messen lassen und erwarten dies auch von allen anderen Akteuren im Bildungs- und Ausbildungsbereich. Wir sind bereit, uns daran durch reguläre Mitarbeit in Beratungs- und Entscheidungsgremien auf allen Ebenen stärker zu beteiligen.